Gestern hatte ich schon so eine leise Vorahnung, wollte sie aber lieber für mich behalten, um kein Öl ins Feuer zu gießen. Oder besser: Um kein Fieber zu provozieren. Oder doch eher: eine Nahtoderfahrung. Denn wenn Tom krank ist, ist er quasi kurz vorm Sterben.
Tom sah gestern Abend etwas blass aus, als er von der Arbeit nach Hause kam. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und röchelte ein „Hallo mein Schatz“, begleitet von einem leisen, aber natürlich hörbaren Schniefen. Dem typischen Männerschnupfen jetzt bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, dachte ich mir. „Willst du was trinken?“ fragte ich ganz normal, während ich den Abendbrottisch deckte. „Ja … schnief … aber lieber nur ein Wasser … schnief.“ Den Abend über war er auf dem Sofa eher ruhig und schnäuzte gefühlte zehnmal in sein Taschentuch.
Heute Morgen war es dann soweit: Auftritt Tom. Ein Drama in drei Akten.
Akt 1: Die Leiche in meinem Bett.
Um 6 Uhr dröhnte Toms Wecker. Er stöhnte laut auf und wuchtete seine 90 Kilo hoch, um an dem nervtötenden Rennautowecker den Motorsound auszuschalten. Endlich Ruhe, dachte ich. Doch dann: „Schatz, ich glaube, ich bleibe heute lieber Zuhause … schnief … hust … mir geht es überhaupt nicht gut.“ Nach zehn Minuten Nase putzen und Dauer-Öche-Öche und der Frage „Haben wir eigentlich noch Aspirin da?“ ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Entnervt stehe ich auf. Wie sehr ich mich heute auf die Arbeit freue!
Akt 2: Der kranke Mann hat Wünsche.
Als ich eine Stunde später aus dem Bad wieder ins Lazarett komme, um mich von Tom zu verabschieden, startet die Sendung Wünsch-dir-was: „Kannst du vielleicht in der Mittagspause noch Hühnersuppe vom China-Imbiss vorbei bringen? Die selbstgekochte nach Mamas Art schmeckt zwar viel besser, aber das will ich dir ja nicht zumuten …“, mitleidiger Dackelblick. „Na ja, ich schaffe das schon irgendwie. Ich versuche einfach zu schlafen, bist du wieder da bist. Dann geht es mir bestimmt nachher schon viel besser. Ach, und wenn du beim Kiosk noch die aktuelle Kicker-Zeitschrift siehst … Und mein Handy, das wäre ganz toll, wenn du das noch eben aus der Küche holen könntest. Damit ich dich anrufen kann, falls es mir schlechter geht. Dann kannst du mir auch noch eine Flasche Wasser neben das Bett stellen, ja? Danke dir, mein Schatz.“ Ich hole das Handy und die Flasche Wasser, gebe meinem Göttergatten einen Kuss und nicke stumm. Schnell raus, denke ich mir, während sich mein kranker Mann lächelnd in die Federn kuschelt.
Akt 3: Die wundersame Genesung.
Als ich gegen 12.30 Uhr nach Hause komme, 15 Minuten eher als normalerweise, scheint es ihm schon wieder deutlich besser zu gehen. Tom sitzt im Bademantel auf dem Sofa, hüpft vor der Playstation auf und ab und spielt „Gran Turismo“, trinkt dabei Cola und kaut Salzstangen. „So ein verfluchter Mist. Nun gib endlich Gas, du lahme Ente“, gröhlt er dabei in öchefreiem Hochdeutsch wie ein entnervter Autofahrer auf der Landstraße. Ich betrete das Wohnzimmer. „Na, dir scheint es ja wieder besser zu gehen, mein Schatz“, säusele ich. Tom lässt sich sofort aufs Sofa fallen, drückt schnell den Ausknopf und verhält sich auch sonst wie ein ertappter Erstklässler beim ersten heimlichen Kuss auf dem Schulklo. „Ich habe dir alle Zutaten für eine Hühnersuppe nach Schwiegermamas Art mitgebracht. Falls du nicht klar kommst, kannst du deine Mutter ja anrufen und nach dem Rezept fragen. Ich bin dann um 18 Uhr wieder da und freue mich schon sehr auf deine kulinarische Kreation! Die Zeitschrift war leider ausverkauft, zu viele kranke Männer im Umkreis von 500 Metern heute. Bis später, mein Schatz“, stelle die Einkäufe auf den Tisch, drücke dem verdutzten Tom einen flüchtigen Kuss auf und mache mich aus dem Staub.
Mein Rat an die Männer da draußen: Vielleicht geht es etwas weniger theatralisch, wenn ihr einen Husten oder Schnupfen habt. Das volle Programm dürft ihr auffahren, wenn ihr richtig krank seid. Grippe, Masern, Auffahrunfall oder so. Dann spielen wir gerne die Krankenschwester und bemitleiden euch. Wenn ihr nicht zu krank seid, auch im Krankenschwesterkostüm 🙂